Die Mieten müssen runter. Dass es so nicht weitergehen kann, beteuern zwar fast alle Parteien. An Konzepten, die Mieten tatsächlich sinken lassen, fehlt es aber. Viele halbherzige Versuche sind gescheitert. Allein in der Regierungszeit von Angela Merkel sind die Neuvertragsmieten in Berlin um 130 % gestiegen, in Hamburg um 97 % – zugleich geraten auch kleinere Städte zunehmend unter Druck. Menschen werden aus ihren Vierteln verdrängt, viele können schlicht nicht mehr frei entscheiden, wo sie leben wollen. Dabei sind explodierende Mieten längst keine zwangsläufige Entwicklung in Ballungsräumen, sondern schlicht das Resultat einer Politik, die sich nicht kümmert: Die Sicherung von Grundbedürfnissen wie Wohnraum wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend dem Markt überlassen.
Auch die nächste Bundesregierung wird deshalb an der Wohnungsfrage scheitern, wenn sie nicht bereit ist für einen grundlegenden Richtungswechsel: Ob man sich ein Dach über dem Kopf leisten kann oder nicht, darf nicht mehr von den Gewinninteressen von Wohnungskonzernen abhängen.
Fünf zentrale Punkte, die umgehend auf den Weg gebracht werden müssen:
Sofort die Notbremse ziehen: Bundesweiter Mietenstopp.
Als erste Sofortmaßnahme werden alle Mieten für sechs Jahre eingefroren, um Mieter*innen damit eine Verschnaufpause zu geben und den Markt nicht weiter eskalieren zu lassen. Das gilt auch für Staffel- und Indexmieten. Einzige Ausnahme sind geringe Steigerungen bei besonders niedrigen Mieten, um Härtefälle beispielweise bei Genossenschaften zu vermeiden. Bei diesen fairen Mieten, die unter 80 % derortsüblichen Vergleichsmiete liegen, sollen Erhöhungen von bis zu 2 % jährlich möglich bleiben.
Entfesselte Märkte bändigen: Rechtssichere Mietendeckel einführen.
Um Mieten zu senken und die Preisentwicklung angepasst an die jeweilige Situation vor Ort gestalten zu können, braucht es ein Bundesgesetz, das regionale Mietobergrenzen im Bestand ermöglicht. So können Länder rechtssichere Mietendeckel nach Bedarf einführen, um Druck aus dem Mietmarkt zu nehmen und überteuerte Wohnungen wieder bezahlbar zu machen.
Wohnraum zurück in die öffentliche Hand: Wohnkonzerne vergesellschaften.
So lange Wohnungsbestände der Gewinnmaximierung von Großkonzernen dienen, so lange wird unser Grundrecht auf Wohnen den Profitlogiken des Marktes unterworfen – menschliche Bedürfnisse haben hier nur dann einen Platz, wenn sie entsprechend zahlungskräftig sind. Deshalb ist die Vergesellschaftung im Grundgesetz explizit vorgesehen und die rechtlichen Hürden dafür sind bewusst niedrig gehalten. Was fehlt, ist eine Regierung, die handelt: Um die eigenen vier Wände für alle garantieren zu können, muss Wohnraum dringend zurück in die öffentliche Hand überführt werden. Sollte das Volksbegehren „DW & Co. Enteignen“ in Berlin erfolgreich sein, muss es dort schnell umgesetzt werden – in jedem Fall weist es den Weg für andere Länder und den Bund.
Sozialen Wohnraum bauen und sichern: Ausverkauf stoppen.
In den letzten Jahren haben wir jeden Tag über 100 Sozialwohnungen verloren. Das stumpfe „bauen, bauen, bauen“ ändert daran wenig, selbst bei einer hohen Sozialwohnungsquote. Denn spätestens nach 30 Jahren läuft die Sozialbindung des geförderten Wohnungsbaus aus – danach geht Wohnraum, der mit öffentlichen Geldern finanziert wurde, in private Hände. Das können wir uns nicht länger leisten. Statt also weiter Konzerne zu subventionieren, müssen Bund, Länder und Kommunen den Neubau selbst in die Hand nehmen und sozialen Wohnungsbau nicht nur fördern, sondern eigenhändig bauen.
Ökowende beschleunigen: Mieter*innen entlasten.
Der Gebäudesektor ist momentan ein Flaschenhals für den Klimaschutz insgesamt: In den nächsten Monaten und Jahren müssen sehr schnell Wärmesysteme auf Erneuerbare umgestellt, Häuser energetisch saniert und Dächer mit Solaranlagen ausgerüstet werden. Die Kosten dafür müssen endlich die übernehmen, die auch von der damit einhergehenden Wertsteigerung profitieren: Ohne ambitionierter Sanierungspflicht für Vermieter:innen keine Energiewende. Auch der anfallende CO2-Preis muss von Vermieter:innen getragen werden, damit er funktioniert. Wer soziale Vermietungskriterien erfüllt, kann dafür öffentliche Förderungen erhalten. Im Gegenzug muss die Modernisierungsumlage reformiert werden: Es kann nicht sein, dass Investitionen, die sich bereits nach wenigen Jahren rechnen, als Legitimation für unbefristete Mieterhöhungen herhalten müssen. Die Zeit der kleinen Schritte ist vorbei: Die Mieten müssen runter, und zwar spürbar und sofort. Der Handlungsspielraum dafür ist da, er muss nur endlich genutzt werden: Unser aller Recht auf Wohnraum zählt mehr als die Profitinteressen von Deutsche Wohnen, Vonovia und Co.
Die Gesellschaft klimaneutral umbauen: Was aus ökologischer Perspektive zwingend notwendig ist, löst auf der Seite der Beschäftigten in betroffenen Industrien teils heftige Befürchtungen aus. Und die sind durchaus berechtigt: Zu oft mussten Arbeiter*innen in der Vergangenheit feststellen, dass sie beim notwendigen Wandel einfach hinten runterfielen. Und auch in den aktuellen Debatten um das Ende von Verbrennungsmotoren, Braunkohleverstromung oder Kurzstreckenflüge fehlt es bislang an Konzepten, die sicherstellen, dass der Wandel nicht auf dem Rücken der Lohnabhängigen ausgetragen wird. Dieses Papier ist ein Versuch, diese Lücke zu schließen und damit den Weg zu ebnen für einen Aufbruch, der das notwendige Tempo im Kampf gegen die Klimakrise mit den notwendigen Sicherheiten für die Beschäftigten zusammenbringt.
Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes der letzten 20 Jahre ermöglichte ein Wirtschaftswachstum, dessen Preis wir alle zahlen: 13 Millionen Menschen in Deutschland leben in Armut, darunter 2,8 Millionen Kinder. Jede*r Fünfte arbeitet im Niedriglohnsektor und befindet sich damit knapp über der Armutsgrenze oder sogar darunter. Diese Unsicherheiten wirken sich auf die gesamte Gesellschaft aus: Menschen werden an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt. Vermögen sind so ungleich verteilt, wie seit 1913 nicht mehr und mit geringerem Einkommen und schlechter Absicherung entsteht Unsicherheit vor jeder weiteren Veränderung der Arbeitswelt. Andererseits wissen wir heute sehr genau, wie katastrophal ein „Weiter so“ für den Planeten wäre. Dass es für Klimaneutralität einen schnellen und tiefgreifenden Umbau der Industrie braucht, steht außer Frage.
Wir haben alle Möglichkeiten in der Hand: Die Technologien sind da, die Arbeitskraft ist da, der entsprechende Handlungsdruck ist da –und der Zinssatz war noch nie so gut für Investitionen wie heute. Was fehlt, ist ein Plan, wie wir diesen Wandel so organisieren, dass niemand zurückgelassen wird.
Unsere Gesellschaft zukunftsfähig zu machen, schafft neue Jobs und neuen Wohlstand. Dafür braucht es einen klaren Fahrplan:
Maßgabe dafür muss sein, dass für die Beschäftigten der fossilen Industrien neue Jobs mit vergleichbaren Tarifbedingungen geschaffen werden: Eine solche Status-Garantie gibt die notwendige Sicherheit, um optimistisch auf den Wandel blicken zu können. Die Nachfrage dafür ist ohnehin da: Eine umfassende, tiefgreifende Verkehrswende wird in der Branche einen Job-Boom auslösen. Züge und Trassen müssen gebaut und gewartet werden, vernetzte Mobilität muss organisiert und Batterien hergestellt, geladen und recycelt werden. Um Städte autofrei zu machen, muss das gesamte Verkehrssystem nach und nach umgeplant, freiwerdende Flächen umgewidmet und Fahrzeugführer*innen ausgebildet werden. Damit all diese neuen Jobs garantiert langfristig und gut bezahlt sind, muss der Staat entsprechende Rahmenbedingungen schaffen – oder sie selbst bereitstellen. Die öffentliche Versorgung mit Grundbedürfnissen wie Mobilität ist ein öffentliches Interesse, also muss es auch öffentlich sichergestellt werden: Durch öffentliche Aufträge oder unbefristete Stellen bei bundeseigenen Agenturen und Behörden können Hochgeschwindigkeitstrassen, neue Bahnhöfe und Radschnellwege überall dort entstehen, wo sie gebraucht werden.
Damit einhergehend muss eine deutliche Arbeitszeitverkürzungbei vollem Lohnausgleich eingeführt werden, die dem technischen Fortschritt gerecht wird: Heute erledigen KI, Maschinen und Computer einen großen Teil unserer Arbeit. Wir müssen immer weniger arbeiten, um dennoch immer bessere Produkte in immer kürzerer Zeit zu produzieren. Die Arbeitszeit muss in gleichem Maße sinken, um bessere Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten zu ermöglichen.
Die dafür erforderlichen Um- und Weiterbildungsmaßnahmen sind ein zentrales Element für die Frage, ob der Wandel gelingt. Die Anforderungen an Beschäftigte ändern sich immer schneller. Um Schritt halten zu können, braucht es ein ambitioniertes Bundesweiterbildungsgesetz, das den Anspruch auf Weiterbildung garantiert und die betriebliche und tarifliche Mitbestimmung sichert. Aufbauend auf einer möglichst breiten Grundausbildung müssen Schulungsprogramme und systematische Fortbildungen speziell für Arbeiter*innen der Automobilindustrie geschaffen werden, die ihr Angebot stark an der jeweiligen Nachfrage vor Ort orientieren. Auch der Wechsel zu Hochschulen oder in völlig fachfremde Branchen muss erleichtert werden.
Ein besonderer Fokus muss dabei auf die Regionen gelegt werden, in denen momentan besonders viele Menschen in den alten Industrien beschäftigt sind. Wir müssen gezielte Offensiven für klimagerechten Umbau starten: In Wolfsburg, Ingolstadt oder Stuttgart sind Arbeitskraft und Infrastruktur bereits da – dieses Potential gilt es zu nutzen, indem neue Produktionsstätten vorrangig dort angesiedelt werden, wo bisher Diesel und Benziner vom Band rollten. So können wir nachhaltige Clusterpolitik gestalten und zusammen mit Kommunen und Ländern die sozial-ökologische Transformation und neue Visionen in alte Industriestandorte bringen. Dafür braucht es langfristige Anreize und Förderprogramme: Schon einmal stand beispielsweise die Lausitz kurz vor einem Wandel vom Kohlerevier zum Hotspot der Solarindustrie – doch die Bundesregierung ließ die aufkommende Branche sterben, bevor sie richtig Fuß gefasst hatte. In der Wind-und Solarindustrie wurde in den letzten Jahren zehntausende zukunftsfähige Arbeitsplätze vernichtet. Diese Fehler dürfen sich nicht wiederholen. Wie es anders geht, zeigt die Bahn gerade in Cottbus: Dort schafft die DB 1.200 neue Arbeitsplätze für ein Instandhaltungswerk und kooperiert dafür eng mit der LEAG, um den Beschäftigten nach dem Kohleausstieg eine Perspektive zu bieten. Damit der Wandel gelingt, braucht es Transformationsräte, die die Mitgestaltung von Zivilgesellschaft und Sozialpartnern sicherstellen.
Und natürlich braucht es Sicherheiten: an erster Stelle muss stehen, Menschen aus der Armut zu holen – ob mit Job oder ohne. Millionen Menschen sind auf Arbeitssuche und unfreiwillig arbeitslos. Für sie braucht es eine Jobgarantie, die gut bezahlte Jobs in der Kommune bereitstellt. Sie garantiert Vollbeschäftigung und wirkt zugleich als automatischer Stabilisator für Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs: Je mehr Arbeitsplätze in Unternehmen verloren gehen, desto kräftiger investiert die öffentliche Hand in Jobs vor Ort. So hebt der Staat automatisch Arbeitsbedingungen und Löhne an.
Nötig ist außerdem eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie, die sicherstellt, dass jeder junge Mensch eine Ausbildung findet, die zu ihm passt und ihm die Chance gibt, einen Beruf zu lernen, den es in der Zukunft auch noch gibt. Um gewappnet zu sein für sich immer schneller verändernde Anforderungen, muss die Ausbildung breit und umfassend sein. Das Erfolgsmodell Duale Ausbildung muss gestärkt werden.
Ergänzend muss eine sanktionsfreie Grundsicherung dafür sorgen, dass die Existenz jedes Menschen gesichert ist. Das bisherige Arbeitslosengeld ist unerträglich niedrig und zwingt so Menschen in unwürdige, ausbeuterische Jobs – denn selbst die sind oft besser als Hartz 4. Eine Grundsicherung von mindestens 1.100 € verschafft die Chance auf ein Leben in Würde.
Ein Mindestlohn von langfristig 15€ ohne Ausnahmen ist die notwendige Untergrenze, um Altersarmut und Dumpinglöhne zu verhindern und den größten Niedriglohnsektor Europas ein für alle Mal auszutrocknen. Damit Einkommen über den Mindestlohn hinaussteigen können, muss die Bindung an Tariflöhne gestärkt werden.
Unstrittig ist, dass die Gesellschaft von all diesen Maßnahmen zwar immens profitiert, dafür kurzfristig, aber enorme Investitionssummen nötig werden. Doch auch hier sind die Voraussetzungen günstig. Ein Ende der Schuldenbremse würde besonders jetzt in Zeiten der Krise eine Investitionsoffensive ermöglichen. Investieren wir jetzt in unsere öffentliche Infrastruktur: Schienen, Schulen, Kommunen, Netzausbau, Digitalisierung und vieles mehr. So schaffen wir neue Jobs und kurbeln die Wirtschaft an. Die Coronakrise hat gezeigt, dass der Staat kein Finanzierungsproblem hat. Derzeit kann das Staatskonto mitdem Verkauf von Staatsanleihen zu negativen Zinsen sogar gefüllt werden.
Trotzdem sollte eine zweite Finanzierungsquelle schon allein aus Gerechtigkeitsgründen nicht außer Acht gelassen werden: Extreme Vermögen haben sich durch die Pandemie noch einmal zusätzlich vermehrt. Einer Vermögensabgabe zur Finanzierung des wirtschaftlichen Umbaus und eine Erbschaftssteuer ab einer Million Freibetrag wären wichtige Beiträge, um extreme Vermögensanhäufung zumindest im Zaum zu halten.
Vor uns liegen so viele Chancen: Mit diesen Maßnahmen können ehemalige Autostädte in den kommenden Jahren zu Motoren von Zukunftstechnologien werden. Das sprunghaft angehobene Lohnniveau kann den Niedriglohnsektor austrocknen und ermöglicht mehr Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die im Rahmen der Jobgarantie geschaffenen Arbeitsplätze in den Kommunen machen das Leben vor Ort lebenswerter und schaffen mit Renaturierungsmaßnahmen auch Stück für Stück artenreiche und hochwassersichere Flussläufe, klimaresistente Mischwälder, wiedervernässte Moore als CO2-Senken und Naherholungsgebiete für alle. Neue finanzielle Sicherheiten schaffen Zusammenhalt und ermöglichen Menschen einen positiven Blick auf die Zukunft.
Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit könnte größer kaum sein: Zukunftsbranchen wie die Wind-, die Bahn-und die Solarindustrie entlassen tausende Angestellte, weil der Ausbau von der GroKo politisch ausgebremst wird. Im kompletten Jahr 2020 wurden exakt 0 Kilometer bundeseigene Bahnschienen fertiggestellt. Und der Zustand unserer Luft, Böden und Gewässer ist derart katastrophal, dass er seit Jahren gegen EU-Recht verstößt und nun immer öfter Gerichte eingreifen müssen, wo Regierungen versagen.
Es bleibt also viel zu tun, doch die Chance für einen echten Aufbruch ist da: Immer mehr Menschen werden aktiv, soziale Bewegungen gewinnen an Einfluss und einst getrennte Kämpfe von Klimaaktivist*innen und Gewerkschafter*innen wachsen mehr und mehr zusammen. Noch werden soziale und ökologische Fragen meist gegeneinander ausgespielt, doch das muss nicht so sein: Bringen wir es zusammen!